WIE ALLES BEGANN
Im März 2020 hatte ich mir ein festes Ziel gesetzt: Ich wollte endlich wieder fitter werden – mindestens 20 Kilo sollten runter. Mit einer Körpergröße von 1,71 m und einem Gewicht von rund 90 kg fühlte ich mich oft müde, kraftlos und schwer. Drei- bis viermal pro Woche fuhr ich mit dem Auto ins Fitnessstudio, motiviert und entschlossen, etwas für meine Gesundheit zu tun.
Es war ein sonniger Donnerstag, ich erinnere mich noch genau. Auf dem Weg zum Training fuhr ich an einem kleinen Kebabladen vorbei, als mir ein Smart-Fahrer auffiel, der sich sehr merkwürdig verhielt. Er fuhr unkontrolliert – mal nach links, mal nach rechts, als hätte er die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren. Kurz vor einer Kreuzung blieb er plötzlich stehen. Ich überholte ihn vorsichtig und fuhr weiter – in eine 30er-Zone.
Was dann geschah, ging blitzschnell. Im Rückspiegel sah ich, wie er mit hoher Geschwindigkeit direkt auf mich zuraste – mindestens 50 km/h. Ich hatte keine Chance mehr zu reagieren. Ein heftiger Aufprall. Ich spürte, wie es mich nach vorn schleuderte. Der Airbag des anderen Fahrzeugs löste aus, seine Nase blutete. Er stieg aus, sichtlich benommen – und bat mich verzweifelt, keine Polizei zu rufen. Er hatte keinen Führerschein.
Ich sagte ihm klar: Ich rufe jetzt die Polizei.
Die Polizei traf wenig später ein, nahm alles auf. Mein Auto hatte einen Totalschaden und musste abgeschleppt werden. Später ging ich noch zur nächsten Polizeistation, um meine Aussage zu machen und den Vorfall genau zu schildern.
Ein paar Tage nach dem Unfall begann ich ein Kribbeln in meinen Händen zu spüren. Zuerst dachte ich, es käme vom Schleudertrauma, das mir nach dem Aufprall diagnostiziert wurde. Ich begann mit Physiotherapie – körperlich half sie mir gut, doch das Kribbeln blieb. Es war ständig da. Unangenehm. Irritierend. Und irgendwie nicht mehr „normal“.
Ich sprach im Spital erneut darüber – und wurde zum MRT geschickt. Also ab in die Röhre, dachte ich, wie so viele Male zuvor. Wieder hieß es: abwarten. Wieder dieses dumpfe Gefühl, dass da etwas nicht stimmt.
Als ich einige Tage später bei der Neurologin saß, war ich nervös – aber auf eine Diagnose wie diese war ich nicht vorbereitet. Sie sagte mit ruhiger Stimme:
„Sie haben Multiple Sklerose.“
Ich war wie gelähmt. Mein Kopf verstand die Worte, aber mein Herz weigerte sich, sie zu glauben. Ich ging nach Hause, öffnete den Laptop und begann zu recherchieren. Ich hatte schon einmal von dieser Krankheit gehört – irgendwo, irgendwann – aber ich wusste nicht genau, was sie bedeutete.
Was ich las, nahm mir den Atem. Multiple Sklerose – eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Unheilbar. Unberechenbar. Man nennt sie die „Krankheit mit den tausend Gesichtern“, weil sie bei jedem Menschen anders verläuft. Einige leben viele Jahre nahezu beschwerdefrei – andere landen früh im Rollstuhl.
Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Immer wieder kreiste mein Kopf um denselben Gedanken: Ich werde irgendwann im Rollstuhl enden. Eine Welle aus Angst, Wut und Traurigkeit überrollte mich. Ich weinte tagelang. Es war, als würde mein ganzes Leben Stück für Stück in sich zusammenfallen.
Zuerst ADHS. Dann Lupus. Und jetzt MS? Ich fragte mich: Warum ich? Warum immer ich?
Doch tief in mir wusste ich, dass ich die Kraft finden musste, auch damit umzugehen. Denn rückblickend merkte ich, dass schon vor der Diagnose einiges nicht mehr stimmte. Ich konnte nicht mehr so lange gehen wie früher, wurde schneller erschöpft, verlor das Gefühl für meine Beine. Ich hatte es ignoriert, nicht ernst genommen – bis der Unfall und die Folgeuntersuchungen alles an die Oberfläche brachten.
Ich beschloss: Ich werde das Beste daraus machen. Ich sagte mir, wie schon so oft in meinem Leben: Ich bin stark. Ich lasse mich nicht unterkriegen.
Obwohl die Krankheit IV-anerkannt ist, arbeitete ich zunächst weiter – gegen den Rat vieler. Ich wollte es mir selbst beweisen. Doch mein Körper sprach eine andere Sprache. Mein Kopf wollte leisten, funktionieren – doch meine Kraft reichte nicht mehr. Es war ein innerer Kampf, Tag für Tag.
Manchmal fiel mir die Zigarette aus der Hand, weil ich nicht mehr spürte, dass ich sie überhaupt hielt. Ich verlor das Gefühl in den Fingern. Gläser wurden zu einer Herausforderung. Ich konnte sie nicht sicher halten, ließ sie fallen.
Das war für mich das Schlimmste: die Kontrolle zu verlieren – über den eigenen Körper, die einfachsten Bewegungen, das Selbstverständliche.
Doch auch hier sagte ich mir: Du hast schon so viel geschafft. Du gehst weiter. Einen Tag nach dem anderen. Und genau das tue ich bis heute.
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